Gemeinden gehen oft schnelleren Weg
Landkreis will erst bis 2040 klimaneutral werden

Die Klimaschutzkonzepte in der Region werden gerne in Grün gezeichnet. Die Wirklichkeit ist inzwischen durch immer stärkere Auswirkungen des Klimawandels schon grau und braun geworden, zum Beispiel durch auf großen Flächen absterbende Wälder in Folge der Sommerdürren der letzten Jahre wie hier am Schiener Berg bei Bohlingen. | Foto: Fiedler
  • Die Klimaschutzkonzepte in der Region werden gerne in Grün gezeichnet. Die Wirklichkeit ist inzwischen durch immer stärkere Auswirkungen des Klimawandels schon grau und braun geworden, zum Beispiel durch auf großen Flächen absterbende Wälder in Folge der Sommerdürren der letzten Jahre wie hier am Schiener Berg bei Bohlingen.
  • Foto: Fiedler
  • hochgeladen von Oliver Fiedler

Kreis Konstanz. Vier Jahre wurde mit Unterbrechungen an einem Klimaschutzkonzept für den Landkreis gearbeitet. Nun wurde es im Kreistag verabschiedet. Demnach will der Landkreis zum Jahr 2040 den Status "klimaneutral" erreichen, was sich zum größten Teil auf die Verwaltung des Kreises bezieht, die selbst nur für rund einen Prozent der CO₂-Emissionen auf seiner Gemarkungsfläche verantwortlich ist.

Ein Antrag der Grünen-Kreisrätin Nina Röckelein, der besagt, dass das viel zu spät ist angesichts des immer drastischer spürbaren Auswirkungen des Klimawandels, und der forderte, dieses Ziel auf 2035 nach vorne zu verlegen, fand bei der Abstimmung zwar 19 Befürworter. Es gab aber 26 Gegenstimmen, die den schon eingeschlagenen Kurs so weiter fortsetzen wollen. Auch die Gruppe von Fridays for Future im Landkreis hatte im Vorfeld scharfe Kritik am Landkreis geübt und hier einen "Papiertiger" in dem Maßnahmenpaket gesehen, da man eigentlich keine Zeit mehr habe, die nötigen Veränderungen auf die lange Bank zu schieben.

Fridays for Future kritisieren Klimaschutzkonzept des Kreises als Kosmetik

Landrat Zeno Danner freilich unterstrich, dass zum einen die Möglichkeiten des Landkreises begrenzt seien, da der Klimaschutz letztlich unter die Hoheit und das Selbstbestimmungsrecht der Gemeinden falle, die hier für sich ihre eigenen Konzepte entwerfen oder auch bereits entworfen habe. Außerdem richte man sich dabei nach dem Land, das sich ebenfalls erst auf 2040 den Status klimaneutral vorgenommen hat. Die Entscheidung im Kreistag fiel dann mit zwei Gegenstimmen und sozusagen auf den letzten Drücker. Denn nur bis zum 15. Juni läuft die Förderung für den Landkreis zur Erstellung des Konzepts.

Komplexe Rechenmodelle

Im Nachgang zum Technischen und Umweltausschuss wurde das Konzept des Landkreises am 27. April den Städten und Gemeinden vorgestellt, gemeinsam diskutiert und nochmals ergänzt, wurde in der Sitzung informiert. Dabei wurde auch klargestellt, dass das integrierte Klimaschutzkonzept des Landkreises vorrangig Maßnahmen enthält, welche von der Kreisverwaltung in eigener Zuständigkeit direkt beeinflusst werden können. Bei einigen Maßnahmen bestehe nur eine indirekte Möglichkeit der Einflussnahme der Kreisverwaltung durch beratende und unterstützende Tätigkeit. Insgesamt 74 Maßnahmen hat die Kreisverwaltung in ihrem Paket zusammengeschnürt.

Die Problemstellung habe sich in Zeiten der Corona-Krise verzögert und musste auch aktuell nochmal verändert werden, da die neuen Vorgaben für die Wärmeversorgung mit einem Anteil von derzeit geplant 65 Prozent erneuerbarer Energien auch für die öffentliche Hand gilt, wenn neue Anlagen eingebaut werden. Der Fuhrpark des Landkreises soll Zug um Zug auf Elektromobilität oder andere Optionen umgestellt werden, so sie dann zur Verfügung stehen. Die Belegung möglichst vieler Hallen- und Gebäudedächer mit Photovoltaik ist eine der plakativsten Maßnahmen. In Sachen ÖPNV wird es da schon komplexer, denn da geht es auch darum, plausible Modelle zu erstellen, die auch nachvollziehbar und attraktiv sind, und bei denen Vergleichsrechnungen natürlich kompliziert sind.

Kritik an jährlichem Aufguss

Das Klimaschutzkonzept ist natürlich nicht neu, nur eben sind darin viele Maßnahmen zusammengefasst. Die ewig neuen Grundsatzdiskussionen nervten da sogar den Grünen-Kreisrat Siegfried Lehmann, der hier nicht jedes Jahr von neuem über Notwendigkeiten diskutieren wolle. Lieber seien ihm Gespräche über Fortschritte und was daraus gelernt wurde. Da fand er sogar einen Freund in Dr. Georg Geiger von der FDP, der gerne sozusagen in "Echtzeit" verfolgen würde, was von den vielen Maßnahmen nun schon umgesetzt sei.

Verschiedene Geschwindigkeiten

Der Landkreis will sich ausdrücklich am Tempo des Landes orientieren, um "Klimaneutralität" bis 2040 erreichen zu können. Deshalb wird es auf dem Weg dahin deutlich unterschiedliche Geschwindigkeiten geben, so geplante Maßnahmen in den Kommunen auch entsprechend der Pläne umgesetzt werden. Und auch die Wege sind sehr unterschiedlich.

Vier Jahre Stillstand angekreidet

„100 klimaneutrale und smarte Städte bis 2030“ – so lautet eine der 61 Maßnahmen aus der neuen Konstanzer Klimaschutzstrategie von 2021. Die Stadt hat sich beim gleichnamigen Programm der EU beworben. Dieses sieht vor, dass 100 innerhalb der EU ausgewählte Städte besondere Unterstützung in ihren Bemühungen für eine Klimaneutralität bereits in den frühen 2030er-Jahren erfahren. Außerdem werden diese Städte über das Programm untereinander vernetzt, um voneinander zu lernen. Die Kritik der Klimaschützer ist aber auch dort markant: Seit der Ausrufung des Klimanotstands vor fast vier Jahren sei außer Plänen noch viel zu wenig passiert, so Fridays für Future.

Singen hat sich als Stadt das Jahr 2035 als Ziel für Klimaneutralität gesetzt. Die Industriestadt unterm Hohentwiel muss hier freilich auch am meisten bewältigen, vor allem wegen der energieintensiven Industrie und den ganzen Logistik-Hubs. Da gibt es natürlich Flaggschiffe wie beim Pharmaunternehmen Takeka: Während Takeda weltweit das Ziel verfolgt, bis zum Jahr 2025 insgesamt 40 Prozent weniger CO₂ auszustoßen, werden es in Singen dann schon 80 Prozent weniger sein, kündigte das Unternehmen im vergangenen Jahr an. Die globalen Ziele würden hier dank vielfältiger Bemühungen deutlich früher erreicht. Seit 2014 ist ein Blockheizkraftwerk in Betrieb. 2025 folge ein Biomassekraftwerk. Schon jetzt beziehe Takeda 100 Prozent grünen Strom aus regenerativen Energiequellen. Auch die Bemühungen von "Fondium" zur Entcarbonisierung zeigen die Anstrengungen der Industrie. Die andere Seite: der Nahrungsmittelkonzern Nestlé, zu dem auch Maggi gehört, strebt seine "Grüne Null" erst für 2050 an.

Auch Radolfzell hat sich 2035 für die Klimaneutralität gesetzt, was derzeit von Bürgerbeteiligung tangiert wird, denn auf die kommt es da besonders an als Mitmachende. Die Kritik aus dem Gemeinderat ist scharf und fordert mehr Tempo, schon wegen des Rufs als "Umwelthauptstadt".

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

8 folgen diesem Profil

Kommentare

Kommentare sind deaktiviert.
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.