Machbar
Marienschlucht: „Die Menschen aussperren funktioniert nicht“
Bodman-Ludwigshafen. Schon seit 1927 und damit seit bald einem Jahrhundert ist die Marienschlucht bei Bodman-Ludwigshafen über einen Steg begehbar. Nach einem tragischen Unfall im Jahr 2015 schien es zunächst, als würde die Schlucht – zumindest offiziell – geschlossen. Bürgermeister a.D. Matthias Weckbach wollte das nicht einfach so hinnehmen. Seine Hartnäckigkeit zahlt sich aus.
Vorgeschichte
Die Steganlage, die bis 2015 aus Holz bestand, wurde wegen Brüchen und Verwitterung etwa alle zehn bis 15 Jahre neu aufgebaut. Als naturbelassene Schlucht seien etwa Rutschungen und Steinbrüche dort normal, meint Weckbach. Nach einem Rutsch 2006 wurde der Steg repariert und es wurden Stütztafeln auf der Westseite der Schlucht einbracht, die das Gelände stabilisieren. Die weniger steile Ostseite wurde nicht gesichert.
Im März 2015 wurde die Schlucht nach einer langen Regenphase durch das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau überprüft und für sicher befunden. Doch nur zwei Monate später kam es zu einer folgenschweren Rutschung, die durch die Wucht des Aufpralls auf dem Schluchtgrund den Holzsteg von unten zerschlug. Eine Frau starb dabei, ein Mann konnte schwer verletzt Hilfe suchen.
„Der Schock war am Anfang riesengroß. Für alle“, erinnert sich Weckbach. „Natürlich hat sich jeder gefragt: Hatten wir denn alles gemacht? Und zu dem damaligen Zeitpunkt, mit dem damaligen Wissen, war das auch so.“ Insbesondere für das Regierungspräsidium Freiburg stand danach fest, dass sich der Mensch aus der Marienschlucht heraushalten sollte. Für den damaligen Bürgermeister und seine Kollegen aus Allensbach und Konstanz stand jedoch fest, dass sie zugänglich bleiben sollte. „Da sind natürlich zwei Welten aufeinandergeprallt.“
In den zwei Jahren danach hinterließen trotz Sperrung immer wieder Menschen Müll in der Schlucht. Sie suchten sich ihre eigenen Wege und drangen dabei in Wildruhebereiche vor, die zuvor unberührt geblieben waren. „Es gab auch Rettungseinsätze, weil sich Leute verirrt haben oder auch verunglückt sind und dann selbständig nicht mehr rauskamen.“
Das habe für ihn deutlich gemacht: „Die Menschen aussperren, funktioniert nicht. Auch der Mensch braucht seinen Platz.“ Ohne einen befestigten Weg würde sich jeder seinen eigenen suchen, mit der Konsequenz, dass sich Ehrenamtliche von Feuerwehr, THW und Höhenrettung in Gefahr bringen müssten, um Menschen zu retten. „Das möchte ich nicht. Ich möchte aber auch, dass die Natur ihre Schutzräume hat.“ Daher setzte er sich für einen attraktiven Weg durch die Schlucht ein – auch das sei zum Schutz der Natur.
Schwierige Momente
Diese Perspektive setzte sich schlussendlich durch. Doch gab es vom Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau eine eindeutige Stellungnahme, dass es zu gefährlich sei, die Schlucht wieder begehbar zu machen. Ein Weg unten, entlang am Mondfelsen, gehe genauso wenig, wie ein Steg. „Ich habe dann alle Gutachten nochmal durchgelesen“, so Weckbach, „und habe einen Weg gefunden.“ Eine Steganlage sei eben doch möglich, sofern sie sich zwischen den beiden Gefahrenzonen von Erdrutschen und Felsstürzen bewege. „Ich habe das für mich die Zehn-Meter-Linie getauft: Vom Schluchtgrund zehn Meter auf der 2006 gesicherten Seite hoch, dann müsste es funktionieren.“
Während andere das Projekt bereits abgeschrieben hatten, blieb Matthias Weckbach hartnäckig. Warum? „Von ‚das geht nicht‘ lasse ich mich nicht abhalten. Das muss ich erst selbst sehen“, so der ehemalige Bürgermeister. „Es ist ein Faible von mir, nicht aufzugeben und nach Wegen zu suchen.“
Dabei bleibe er durchaus ergebnisoffen: „Ich kann auch zum Ergebnis kommen, dass es nicht geht. Aber ohne alles geprüft zu haben, gebe ich einfach nicht auf. Wenn ich eine Chance sehe, dann überlege ich mir auch Lösungsansätze.“ Für ihn sei das sein Naturell: „Das kann ich nicht anders. Es ist eher für die Menschen in meiner Umgebung schwierig, weil die das dann manchmal nicht verstehen.“ „Da möchte ich auch vielen Menschen Zuversicht geben, dass sie nochmal genauer hinschauen. Oft, wenn man genauer hinschaut und wenn man alle Informationen hat, kann man erst bewerten, ob es wirklich nicht geht“, so die Auffassung Weckbachs. „Wir sind häufig viel zu schnell dran zu sagen, das geht nicht oder das können wir nicht tun. Das finde ich eine falsche Herangehensweise.“
Zusammen mit dem damals schon Ex-Bürgermeister aus Allensbach, Helmut Kennerknecht, diskutierte er dann die Idee direkt in der Schlucht. „Er ist wie ich zum gleichen Schluss gekommen: So kann es gehen.“ Auch ein Ingenieurbüro erklärte das Projekt so für machbar.
Die Idee wird (ab)geschliffen
Um keine weiteren Bereiche zu belasten, sollte die alte Wegführung erhalten bleiben. Nachdem ein Konzept erarbeitet und im Austausch mit den weiteren Beteiligten „abgeschliffen“ wurden, so Weckbach, stand das Projekt: Ein Steg aus Stahl, in zehn Metern Höhe durch die Schlucht, mit Sensoren als Frühwarnsystem am Mondfelsen, falls etwas in Bewegung gerät. „Dieses Projekt hat zu einem guten Miteinander mit Behörden und Verbänden geführt“, betont er. Obwohl verschiedene, gar gegensätzliche Positionen beteiligt waren, sei es gelungen, die Argumente der Gegenseite zu hören. „Wenn ich aus diesen Argumenten etwas Gemeinsames schaffe, dann hat doch jeder etwas davon.“
Heute arbeiten die Behörden, Kommunen und Naturschutzverbände zusammen, in gegenseitigem Vertrauen. Insbesondere die Belange des Naturschutzes hob Matthias Weckbach im Laufe des Gesprächs immer wieder hervor: „Wir sind als Mensch auch nicht losgelöst von unserer Umwelt. Wir sind soziale Wesen und wir brauchen die Umwelt. Genauso, wie sie hoffentlich auch uns ein Stück weit braucht.“
Im Herbst des Jahres 2021 konnte es losgehen, nach drei Jahren, in denen intensiv vorgeplant wurde: Die Wege mussten wiederhergestellt, Felsanker in einer spektakulären Aktion mit dem Hubschrauber in die Schlucht eingebracht werden. Wenn auch weit weniger Aufsehen erregend, war das wohl größte Hindernis der anspruchsvolle Planungsprozess: Die Schlucht musste exakt vermessen werden, um ihre vielen Winkel genau zu kennen und eine Steganlage entsprechend konstruieren zu können. „Ich kann da nicht mehr draußen vor Ort schweißen“, erklärte Weckbach. „Wir sind hier absolut im freien Raum, es ist verwinkelt, wir müssen hoch und runter und um Felsen herum. Das muss dann alles stimmen.“
So begeistert alle Akteure auch waren, dauerte der Planungsprozess letztlich länger als gedacht. Hinzu kamen noch naturschutzfachliche Fristen, mit einer Winterruhe zwischen Dezember und August. Dazwischen bleiben nur vier Monate Zeit, die Baumaßnahmen wurden aber auf eine Dauer von knapp über sieben Monaten geschätzt. Auf zwei Jahre würden sie sich also in jedem Fall erstrecken. „Wir konnten nicht mehr 2023 anfangen, wie wir es ursprünglich geplant hatten.“ Stattdessen konzentrierten sich die Stegarbeiten voll auf das Jahr 2024. Ein großer Teil ist geschafft und das Finale soll dann bis im Spätherbst 2025 folgen, sodass die Schlucht in einem Jahr wieder offen zugänglich ist.
Autor:Anja Kurz aus Engen |
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