Wie bewegt man sich trotz Handicap?
Wir leben hier am Bodensee in einer Tourismus-Region. Und ein alter Spruch besagt, dass wir da leben und arbeiten dürfen, wo andere Urlaub machen. Aber wie ist das mit dem Urlaub, wenn ein Handicap unsere Bewegungsfreiheit begrenzt? Klappt das alles so einfach, wenn zum Beispiel ein Rollator oder gar ein Rollstuhl zum Reisegepäck gehören? Vertraut man den Schlagzeilen, wonach eine Menge für Barrierefreiheit überall getan wird, dann dürfte das alles kein Problem sein. Die Probe aufs Exempel beginnt dann, wenn man selbst plötzlich im Rollstuhl sitzt. Es ist in den letzten 40 Jahren viel getan worden – aber reicht das in der Praxis aus? Ich war einst mit der Kamera dabei, als Erich Annussek in Singen die erste Rollstuhlrampe zu seinem Balkon gebaut bekam. Er bewegte viel: Bordsteine wurden abgeschrägt und der Postdirektor war dabei, als an der Hauptpost die erste Telefonzelle für Rollstuhlfahrer eingeweiht wurde.
Jetzt gibt es sogar eine Broschüre „Barrierefrei unterwegs“ unter Mitwirkung der Selbsthilfe Körperbehinderter, wo auf 166 Seiten Tipps zum Urlaub im Hegau und am Bodensee. Prima, aber wem ist damit wirklich geholfen? Der Tourismus-Branche in der ganzen Region? Den Behinderten? Oder schlicht dem Verlag? Es macht sich schließlich gut, wenn man sich damit schmücken kann, etwas für Behinderte zu tun! Die Attraktionen der Region sind für alle erst einmal gleich – für Behinderte und Nichtbehinderte. Und die Werbetexte der Touristiker gibt es schon in den Computern gespeichert. Aber was braucht der Behinderte wirklich an Einrichtungen und Informationen? Da geht es erst einmal um die „stillen Örtchen“. Wo sind sie und wie kommt man hinein? Die Toiletten mit dem Euro-Schlüssel sind weitgehend Standard geworden. Die bewirbt ein Hilfsverein in Marburg, Schlüssel dafür sind auch hier bei der Selbsthilfe für 18 Euro erhältlich, oder auch bei den Kliniken Schmieder für betroffene Patienten. Doch die Praxis ist schwierig. So gibt es in Meersburg ein schmuckes Toilettenhäuschen nahe der Therme am Eingang zur Fußgängerzone. Aber wo gibt es den Schlüssel dafür? Ja, da ist ein Euro-Schlüssel nötig. Aber wo steht das angeschrieben? Wo ist Hilfe am Wochenende zu finden? Im Reiseführer ist nur von einem Toilettenhäuschen die Rede, nichts von der Art des Schlüssels.
In der neuen Gemeindehalle in Bodman, im „Seeum“, gibt es Kritik am Bauwerk, weil die Behindertentoilette nur über das Restaurant zu erreichen ist. Und wenn hier Ruhetag ist? Duschen und Toiletten sind draußen an der Anlage im neuen Bushaltehäuschen integriert – warum nicht auch eine Behindertentoilette? Dabei werden die Bodmaner Uferanlagen gerne von Rollstuhlfahrern aus der ganzen Region genutzt, weil sie hier ganz nahe mit dem Auto herangefahren werden können.
Wie machen das andere Urlaubsregionen? Eindrucksvoll ist eine Fahrt entlang der Weinstraße in Rheinland-Pfalz. Das Hambacher Schloss ist komplett behindertengerecht. Rollstuhlfahrer werden bis kurz vor den Eingang mit dem Auto durchgelassen. Der Rest ist eine Erholung für Leib und Seele. Beispielhaft ist die Innenstadt von Neustadt, denn da gibt es in der Fußgängerzone überall Hinweisschilder auf Toiletten aller Art – auch natürlich für Behinderte. Geworben wird damit in Stadtplänen und Werbeplänen. Und dann kommt die Überraschung in der Tourist-Information, denn in der ist eine nagelneue Behindertentoilette. Die wird aber wie im Radolfzeller Rathaus erst über eine elektrisch betriebene Rollstuhlrampe erreicht. Es habe keine andere Lösung gegeben, berichtet die Dame von der Tourist-Information. Denkmalschutz war das Stichwort. Und dann habe man richtig Geld in die Hand nehmen müssen.
Tourismus mit Blick auf Behinderte gibt es eben nicht zum Nulltarif. Da muss man gut vernetzt sein und gleich eine ganze Region für Menschen mit Handicap anbieten. An der Weinstraße ist das offenbar begriffen worden. Da sind Stadtparks und Veranstaltungsplätze barrierefrei im Angebot. Der Behinderten-Parkplatz ist nicht nur ein Alibi, ihn gibt es je nach Attraktion in starker Mehrzahl. Da sind auch keine Extra-Broschüren „barrierefrei unterwegs“ nötig, da gehören Angebote für Behinderte zum touristischen Regelwerk. Ja, wer auf Reisen geht, kann eine Menge erleben . . .
Von Hans Paul Lichtwald
- Redaktion
Autor:Redaktion aus Singen |
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