Bemerkenswertes Gedenken 75 Jahre nach dem Bomben auf Schaffhausen
»Wir sind mitten in Europa. Wir sind keine Insel!«

Bomben Allerheiligen | Foto: Das Museum Allerheiligen wurde von den Bomben des 1. April 1944 sehr stark beschädigt. swb-Bild: SASH
  • Bomben Allerheiligen
  • Foto: Das Museum Allerheiligen wurde von den Bomben des 1. April 1944 sehr stark beschädigt. swb-Bild: SASH
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Schaffhausen. In feierlichem Rahmen und mit zahlreichen Gästen beging die Stadt Schaffhausen am Montag den 75sten Jahrestag zur Bombardierung Schaffhausens durch die US Luftwaffe am 1. April 1944. Die Rednerinnen und Redner unter Ihnen auch Bundesrätin Karin Keller-Sutter wiesen auf die verheerenden Folgen der Bombardierung hin und verliehen in unterschiedlicher Art und Weise ihrem Wunsch Ausdruck, dass sich so ein Ereignis niemals wiederholen möge und Frieden einkehre.

Am 1. April 1944, um 10.50 Uhr, eineinhalb Jahre vor Kriegsende, warf die US-Luftwaffe während 40 Sekunden versehentlich ihre Bombenlast über der Stadt Schaffhausen ab. Beim folgenschwersten Angriff auf die Schweiz in der Geschichte des schweizerischen Bundesstaates kamen 40 Menschen um und über 100 wurden zum Teil schwer verletzt. Die Stadt Schaffhausen führte heute mit vielen prominenten Gästen aus Politik und Gesellschaft sowie zahlreichen Besucherinnen einen Gedenkanlass zum 75sten Jahrestag dieses dramatischen Ereignisses durch.

Um kurz vor 11 Uhr läuteten alle Kirchenglocken im Stadtgebiet. Bundesrätin Karin Keller-Sutter und Stadtrat Dr. Raphaël Rohner legten gemeinsam bei der Gedenkstätte auf dem Waldfriedhof einen Kranz nieder. «Innert Sekunden brachen Unglück und Leid über unsere Bevölkerung hernieder. Wir verneigen uns mit Respekt vor den Opfern und den schwer geprüften Angehörigen, verbunden mit dem Wunsch, es möge in Zukunft Friede auf dieser Welt einkehren», so Stadtrat Dr. Raphaël Rohner in seiner Ansprache.
Der zweite Kranz wurde niedergelegt von US-Botschafter Edward T. McMullen, der sein Bedauern bekundete und erläuterte, dass die USA nach dem Ereignis sofort Verantwortung übernahmen und eine Untersuchung der Geschehnisse einleiteten. General George C. Marshall, der damalige U.S. Aussenminister Cordell Hull sowie U.S. Präsident Franklin D. Roosevelt übermittelten seinerzeit rasch ihr tiefstes Mitgefühl. «Die Vereinigten Staaten bezahlten 4 Millionen Dollar für den Wiederaufbau von Schaffhausen und überwiesen später weitere 14 Millionen Dollar an Entschädigungen an die Schweizer Regierung für Schäden, die den Schweizern während des Krieges entstanden sind,» sagte Botschafter McMullen.

Pfarrer Urs Elsener und Pfarrer Martin Baumgartner erinnerten an die vielen schrecklichen Einzelschicksale, die Opfer der irrtümlichen Bombardierung geworden waren und sprachen ein Gebet.
Die geladenen Gäste und Besucherinnen und Besucher begaben sich anschliessend zur Steigkirche, wo sie von Stadtpräsident Peter Neukomm begrüsst wurden. Unter den vielen geladenen Gästen befanden sich die Kantonsregierung sowie Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus Kanton und Stadt, der Schaffhauser Stadtrat und eine mehrere Zeitzeugen bzw. ihre nächsten Angehörigen, die die Bombardierung 1944 erlebt hatten.

Stadtpräsident Peter Neukomm erinnerte in einem kurzen Rückblick an das einschneidende Ereignis und an den Einsatz der damals Verantwortlichen: «Alle standen zusammen, um zu helfen: Stadtrat und Grosser Stadtrat agierten ohne Verzug und unbürokratisch, wodurch wirksame Hilfe für die 500 Obdachlosen und rund 1'000 Menschen, die ihre Arbeitsplätze verloren hatten, ermöglicht wurde. Auch den Wiederaufbau brachten die verantwortlichen Behörden zusammen mit den betroffenen privaten Eigentümern rasch voran. Diese grossartige Leistung unserer Vorfahren verdient heute grossen Dank, Respekt und Anerkennung», so der Stadtpräsident.

Bundesrätin Karin Keller-Sutter schlug in ihrer Ansprache den Bogen zur aktuellen Situation: «Hoffen wir, dass sich nie wiederholt, was vor 75 Jahren geschah. Aber Krisen und Spannungen in Europa können plötzlich auch die Schweiz betreffen, ob beabsichtigt oder nicht. Davor schützt uns auch unsere Neutralität nicht. Wir sind mitten in Europa. Wir sind keine Insel.»

Historiker und Buchautor Dr. Matthias Wipf, dessen Buch «Die Bombardierung von Schaffhausen – ein tragischer Irrtum» am Abend in einer gesonderten Veranstaltung vorgestellt wurde, erinnerte an die Details in der Wahrnehmung der damaligen Bewohnerinnen und Bewohner Schaffhausens: «Zeitzeugen in Schaffhausen sprachen auch von einem ‹verlorenen Zipfel jenseits des Rheins› und fühlten sich vom Rest der Schweiz allein gelassen». Er zitierte verschiedene, sehr berührende Aussagen aus jener Zeit – und räumte gleichzeitig aufgrund aktuellster Forschungsergebnisse mit dem Mythos auf, Schaffhausen sei von den USA am 1. April 1944 absichtlich bombardiert worden.
Im Anschluss an den Gedenkanlass in der Steigkirche gab es Gelegenheit zur Vorbesichtigung der Ausstellung «Bomben auf Schaffhausen» im Museum im Zeughaus.

Am 18. Mai 2019 wird zudem im Museum zu Allerheiligen die Ausstellung «Kunst aus Trümmern» eröffnet. Das Museum und das damalige Naturhistorische Museum waren von der Bombardierung schwer getroffen worden. Die Sonderausstellung rollt das tragische Ereignis auf und erzählt anhand von rund 80 ausgewählten Kunstwerken die Geschichte einer beispiellosen Solidaritätsaktion, an der sich Gemeinde, Kantone und Private aus der ganzen Schweiz mit Spenden beteiligten.

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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