"Im Menschen muss alles herrlich sein"
Wie wichtig ist die eigene Vergangenheit wirklich?

Der Vergangenheit so nah scheint Edi (Lilian Prent, Mitte) oft in den Rückblicken von ihrer Mutter Lena (Katrin Huke, links) und Tatjana/Aljona (Michaela Allendorf, rechts) in "Im Menschen muss alles herrlich sein". | Foto: Ilja Mess/Theater Konstanz
  • Der Vergangenheit so nah scheint Edi (Lilian Prent, Mitte) oft in den Rückblicken von ihrer Mutter Lena (Katrin Huke, links) und Tatjana/Aljona (Michaela Allendorf, rechts) in "Im Menschen muss alles herrlich sein".
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Konstanz. Was, wenn man nicht weiß wie es ist, ein Einwandererkind zu sein? Wenn man seine eigene Geschichte nicht kennt? So geht es den beiden jungen Frauen Nina und Edi, die trotz ihrer engen Verbundenheit zu ihren Müttern Tatjana und Lena gleichzeitig bis zur Unversöhnlichkeit voneinander getrennt sind.

Eine Ausgangsprämisse, die sich durch das gesamte Stück "Im Menschen muss alles herrlich sein", das am Freitag, 27. September die neue Spielzeit am Theater Konstanz einläutete, zieht. Und doch sind die Geschichten der vier Frauen sehr different. Wuchsen Tatjana (Michaela Allendorf) und Lena (Katrin Huke) beide in den heutigen Ukraine auf, wurde Letztgenannte Ärztin, die andere arbeitet dort als Schnapsverkäuferin, was diese als ihre einzige Überlebenschance sieht. Als jedoch ihr Heimatland die Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre zerfällt, verlassen die beiden unabhängig voneinander die gerade unabhängig gewordene Ukraine gen Deutschland. 
Was zurückbleibt sind Lenas Tochter Edi (Lilian Prent), die zukünftig als Journalistin arbeiten möchte, sowie Tatjanas Kind Nina (Alicia Bischoff), die die Gesellschaft so gut wie es geht meidet. Ihnen bleiben die Migrations- und Verlusterfahrungen ihrer Mütter fremd, was sie nun dazu zwingt, auf ihre Art und Weise ihre eigene, ihnen nicht bekannte Vergangenheit aufzuarbeiten. Und da wäre dann noch Edis Großvater Roman Iljitsch (Odo Jergitsch), der sich auf den gefährlichen Weg vom Donbass nach Jena macht und für ihre Enkelin vermutlich der einzige Ausweg scheint, um nicht schon sehr früh ihren Traumberuf zu verlieren.

Die Thematik, das wird bei der Inszenierung von Regisseurin Franziska Autzen des gleichnamigen Romans von Sasha Marianna Salzmann schnell deutlich, könnte aktueller nicht sein. Dies fällt vor allem dann auf, wenn sich Edi augenrollend über die Aussprache von Thüringen sowie dessen aktuelle Lage echauffiert und der Großvater den restlichen Charakteren das Grauen im Donbass durch seine lebhaften Schilderungen wahrhaftig vor Augen führt. Und doch bleibt über die ganze Laufzeit hinweg die Frage offen wie es in einem Menschen frei nach dem russischen Sprichwort "herrlich" oder "schön" sein soll, wenn das eigene, einem manchmal unbekannte Leben von der Geschichte gedemütigt, gar überrollt wird und der eigene Alltag von Angst und Chaos geprägt ist.
Doch auch die traurige wie harte Vergangenheit der ehemaligen Sowjetunion, dem eigentlichen Schwerpunkt dieses Stücks, wird hier von Autzen meisterhaft durch die grandios aufspielende Besetzung in Szene gesetzt.
Vor allem die Rückblicke mit Lena und Tatjana oder Aljona, einer weiteren Jugendfreundin von Edis Mutter, sowie dem Roadtrip von Tatjana und Edi wird es der angehenden Journalistin im Laufe der Inszenierung immer mehr bewusst, wie schwer es für sie wirklich ist, die Fragen zu stellen, ohne zu wissen, was man eigentlich fragen will. So scheint die komplexe, jedoch auch ergreifende Vergangenheit der beiden Mütter, die hier dargestellt wird, in diesen Momenten so greifbar, die reale und oft wie das oft so kalte Russland wirkende Beziehung zu ihrer Mutter jedoch gleichzeitig weiterhin so fern. Anders geht es Nina an, die hier als Influencerin "Ninia 23" wie alle Charaktere kostümtechnisch sehr schrill wie auch lebhaft die Geschichte von ihrer Mutter und Lena aufarbeitet. Je länger diese Blogs dauerten, desto bewusster wird Nina, wie wichtig es vielleicht doch sei, sich mehr unter die Leute zu trauen und mehr auch über sich selbst zu erfahren und Dinge zu wagen, über die sie sich bisher keine Gedanken gemacht hatte. 

Was bei diesem Stück trotz seiner thematischen Härte jedoch auffällt ist der Humor, den es an vielen Stellen mit sich bringt. Seien es die auffälligen Kommentare von Tatjana und Lena über Edis Aussehen oder, wie bereits erwähnt, Edis höhnische Kommentare über den neuen Heimatort ihrer Mutter. Auch die ausgelassenen Feiern zu slawischer oder ukrainischer Musik rund um die pompöse, zu verfallen scheinende Reiterfigur in der Bühnenmitte, brachten eine abwechslungsreiche, jedoch auch notwendige Leichtigkeit hinein, um jedoch durch Ausdrücke wie "Man kann diese Party nie verlassen, selbst wenn man nicht hingeht" wieder in die Realität der Vergangenheit zurückgeholt wird.
Und auch wenn diese Leichtigkeit da ist, so bleibt am Ende wirklich die Frage, ob in all diesen Menschen nach diesem bewegenden wie eindrucksvollen Geschichtsexkurs wirklich alles herrlich und schön ist. Denn egal wie fern man gefühlsmäßig von seiner Verwandtschaft auch ist, so wichtig ist es doch auch, mindestens ein bisschen etwas über die eigene Vergangenheit zu wissen, egal wie schön oder unschön diese ist. Dies wird eindrucksvoll durch einen Dialog zwischen Tatjana und Edi zum Ausdruck gebracht wird. "Von der Vergangenheit besessen zu sein", so Tatjana, "ist nicht gesund", woraufhin Edi, die Zuschauer nachdenklich zurücklassend, antwortet: "Aber eine zu haben, wäre schön."

Autor:

Philipp Findling aus Singen

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