"*innen" als Walking-Act
Wie die Stadtplaner die Frauen vergaßen
Konstanz. Das Saisonfinale des Theaters Konstanz findet seit einigen Jahren "draußen" statt - und nicht nur auf dem Münsterplatz. Die Idee, die ein zwangsläufiges Ergebnis der ganzen Kontaktverbote zu Corona-Zeiten war, bietet freilich auch ein ganz anderes Format von Theater, eins, das mit dem Publikum unterwegs und richtig auf Augenhöhe ist.
Dieses Jahr ist "*innen" der Walking-Act. Am Seerhein wartet man vor der Brücke auf die Schauspieler und bekommt Kopfhörer verpasst. Doch erst mal kommt es, dass im Theaterdreirad die Reporterin (Kristina Lotta Kahlert) auf das andere Ufer blickt und gleich feststellen muss: "Die Stadt ist von Männern geplant, und für Männer." Nein, das ist keine Kampfansage, denn ganz anders sollte es ja gar nicht werden. Doch im Interview mit Schauspielerin Sarah Lee König als die "Stadtvermesserin" kommt man immer mehr auf des Pudels Kern, zumal noch das Geburtstagskind "Imperia" (Dominik Puhl) ganz spektakulär über die Seerheinmündung per DLRG-Boot dazustößt, die viel erzählen kann von der Macht der Frauen, die freilich hier die Wahl der Waffen beherrschen muss, um den Lauf der Geschichte zu verändern. Die Frage bleibt, was denn wäre, wenn man diese Waffen nicht nutzen wollte - es vielleicht auch gar nicht kann?
Gender Data Gaps, also geschlechtsspezifische Datenlücken, werden hier beim Spaziergang aufgetischt. Ist es wahr, dass sich Frauen bei Autounfällen mehr verletzen, weil alle "Dummies" Männerfiguren sind, eben mit ganz anderen Proportionen? Ist ein Gast nun ein Gast, oder auch Gästin, und würde dann über ihre Geschlechter definiert - also dass jeder "Vagina" über die Frau denken würde. Manche Fragen dieser Stadterkundung sind schon kniffelig. Wenn es in die Unterführungen des erst jüngst umgebauten Sternenplatz geht, ist schon die Toilettenfrage eine Diskriminierung. Wo man eh schon sehr Acht geben muss, um nicht von den Radlern erfasst zu werden, die hier durch die engen Kurven kacheln, hätte man als Mann eine von den Türen, die an übersichtlicher Stelle auf die Straße klappen. Und die Türe ist für die Damen alles andere als barrierefrei, eher unzugänglich. Für solche Fehler müsste man freilich nicht unbedingt Mann sein - ist auch eine Antwort. Um sich in solch düsteren Betonhöhlen zu fürchten auch nicht. Als Tipp wird die Nummer des Heimwegtelefons den Zuschauern ausgegeben. Da wäre man an solchen Stellen der Angst nicht alleine.
Das von Julius M. Ferstl, Marie Knop und Meike Sasse, mit den SchauspielerInnen und dem Kollektiv tondlhaas entwickelte Stück ist eine Unterhaltung beim Spazierengehen, über die man sich danach bei der Belohnungsbrause gut unterhalten kann. Nämlich wie man selbst die Stadt nun sehen würde, warum man so was vergessen kann. Schließlich fühlen sich da alle Menschen auf irgendeine Weise vergessen. Und was braucht es, um die Stadt für alle Menschen gleichermaßen lebenswert zu machen? "Wir brauchen einen neuen Blickwinkel! Und wir brauchen Verbündete!", ist eine klare Ansage, als Imperia auch noch ein Geburtstagsgeschenk bekommt, das ein Geheimnis bleibt.
Schon für die Technik ist das Stück eine Herausforderung, denn die Sender zwischen Mikrofon und Kopfhörer müssen ja mitwandern auf der Stadttour - und auch die Hitze der letzten Tage im Griff haben, die die Leistung mancher Akkus bedrohte. Danach hat man andere Augen, dazu bräuchte es nicht mal das Gender-Sternchen vom Sternenplatz. Das reicht schon der Hinweis auf den "Frauenpfahl" im Hafen, an dem früher die Verurteilten in Säcken versenkt wurden. Die letzten Vorstellungen des Projekts sind am 19. und 20. Juli.
Mehr auch unter theaterkonstanz.de
Autor:Oliver Fiedler aus Gottmadingen |
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