Engagierte Worte zum Neujahrsempfang der Kammern am Dienstagabend in Konstanz
Freiräume gegen Populismus und Protektionismus verteidigen

IHK Neujahrsempfang Conrady | Foto: IHK-Präsident Thomas Conrady (links) und Handwerkskammer-Präsident Gotthard Reiner hatten sich für die Schweizer Botschafterin Christine Schraner Burgener als Dank für ihre Neujahrsrede ein Geschenk nach dem Schweizer „Freitag“-Muster ausgedacht: die Blac
  • IHK Neujahrsempfang Conrady
  • Foto: IHK-Präsident Thomas Conrady (links) und Handwerkskammer-Präsident Gotthard Reiner hatten sich für die Schweizer Botschafterin Christine Schraner Burgener als Dank für ihre Neujahrsrede ein Geschenk nach dem Schweizer „Freitag“-Muster ausgedacht: die Blac
  • hochgeladen von Oliver Fiedler

Konstanz. Der Neujahrsempfang von IHK und Handwerkskammer, der seine Premiere im neuen Bodenseeforum feierte, ist damit auch zum klassischen Format zurückgekehrt. Auf ausschweifende Begrüßungen wurde ganz verzichtet, und auch auf Talk-Elemente. Zugunsten klarer Botschaften, wie zum Beispiel die von IHK Präsident Thomas Conrady, dass man die Freiräume, die die Region so auszeichnen und die so viel Wachstum ermöglichten, gegen Populismus und Protektionimus verteidigen müsse. Oder die von Handwerkskammerpräsident Gotthard Reiner, dass „einfach machen“ das beste Rezept gegen die gegenwärtige Angststarre ist. Oder die der Schweizer Botschafterin in Berlin, Christine Schraner Burgener, dass man in der Schweiz derzeit einen verlässlicheren Partner habe als manches EU-Mitglied, auch drei Jahre nach der Abstimmung über die „Masseneinwanderungsinitiative“.

IHK-Präsident Thomas Conrady hatte in seiner Neujahrsrede große Worte gewählt. Die Region zähle zu den wahrscheinlich glücklichsten der Welt. Viele Faktoren sorgten für die höchste Lebensqualität hier am Bodensee und entlang des Hochrheins. Lange seien die Voraussetzungen für den Erfolg der Region stabil, zuverlässig, erwartbar und selbstverständlich – vielleicht aus heutiger Sicht zu selbstverstandändlich gewesen. Man habe offene Märkte, offene Grenzen und offene Gesellschaften aufgebaut, doch genau das würde gegenwärtig von verschiedenen Kräften in Frage gestellt.

Die Annahme der sogenannten „Masseneinwanderungsinitiative“ in der benachbarten Schweiz sei für ihn eine Schrecksekunde gewesen, die fast drei Jahre angedauert habe. Conrady sieht die offenen Märkte, wie die offenen Grenzen und offenen Gesellschaften in Gefahr, unterstrich er vor den über 900 Gästen im Bodenseeforum. Abgrenzung und Protektionismus, das sieht Conrady im „Brexit“ wie im Verhalten des neuen US-Präsidenten Donald Trump und seinen berüchtigten „Twitter-Botschaften“. Offene Grenzen sind für ihn in Gefahr, weil sich Protektionismus mit dem Gift des Populismus zu einer gefährlichen Melange zu verbinden drohe. Die Freiräume gelte es zu verteidigen um den Wert dieser Region zu erhalten, appelierte er und bekam dafür ausdrücklichen Applaus.

Handwerkspräsident Gotthard Reiner hatte gegen die Erstarrung der Menschen, mit dem Wunsch auf den Rückzug auf eine kleine überschaubarere Welt einen Tipp parat: „Einfach machen“, meinte er. Handwerk 4.0 brauche nach wie vor den Menschen, deshalb könne man hier auch „Einfach machen“. Im Bereich der Ausbildung habe man „VorAus“ als neues Zertifikat entwickelt, das sich aus den Worten „Vorbildliche Ausbildung“ zusammensetze. In kürzester Zeit hätten bereits 150 Betriebe einen Antrag auf Zertifizierung gestellt, und das zeige den Willen der Handwerker auch hier etwas zu „machen“.

"Einfach machen“ habe man auch angesichts der Flüchtlingslage vor zwei Jahren gesagt. Inzwischen habe man über 70 Flüchtlinge in den Betrieben in Ausbildung. Man könne zwar sagen, das das nicht gerade viel sei, aber es sei ein Anfang der Integration. „Die Menschen sind bei uns. Schauen wir das Integration schnell gelingt und wir unseren Beitrag leisten können“, ermunterte Reiner die Festgäste.

Angesichts der anstehenden Wahlen hatte Reiner eine Menge an Hemmnissen in Richtung der anwesenden Landes- und Bundespolitiker aufgeführt. „Einfach machen“ werde da schwierig. Man brauche Freiräume und deren Grenzen müssten in einer Bereitschaft zum Dialog definiert werden, sprach er als ehrlichen Wunsch aus.

Was die Begrenzung von Freiräumen betrifft, so würden 300 Kilometer EU-Außengrenze bereits einige Hürden mitbringen, schwenke er auf die Schweizer Festrednerin dieses denkwürdigen Abends über. Gerade für die Zukunft, zum Beispiel durch die neue Mehrwertsteuerpflicht für ausländische Firmen in der Schweiz ab 2018 gäbe es schon wieder neue Herausforderungen für die Unternehmer hier an der Grenze.

„Die Schweiz ist vielleicht solidarischer mit Europa als manche ihrer europäischen Mitgliegsstaaten“ bemerkte die Schweizer Botschafterin in Berlin, Christine Schraner Burgener, zu Beginn ihre mit Spannung erwarteten Rede. Man habe auch mit den selben Herausforderungen wie der Rest von Europa zu kämpfen gehabt: zum Beispiel bereits im Jahr 2012 bereits einen massiven Zustrom von Migranten erlebt: damals seien über 8,2 Prozent aller Asylgesuche in Europa in der Schweiz gelandet-. Durch konsequente Reaktionen, zum Beispiel mit einem 48-Stunden-Verfahren, seien die Zahlen zurück gegangen, inzwischen wieder auf 2,8 Prozent der Anträge in Europa. Man habe in der Schweiz einen Ausländeranteil von 24 Prozent, wenn man Migration nach deutscher Art rechnen würde, käme man sogar auf 35 Prozent. In Deutschland seien es derzeit 11 Prozent. Die Einwanderungsinitiative sei vielleicht vor diesem Hintergrund zu sehen, auf die man nach der Abstimmung habe dann reagieren müssen. Dass nicht alles so heiß gegessen wird wie gekocht, macht für sie deutlich, dass Grenzgänger von den Beschränkungen ausgenommen wurden. „Die Beziehung zu unseren Nachbarn und Europa wird von uns nach wie vor sehr ernst genommen“, unterstrich sie.

Die Schweiz sei schließlich Europas drittwichtigster Wirtschaftspartner, und mit Baden Württemberg alleine habe man ein Handelsvolumen, dass nur ganz knapp unter dem mit China liege. Der Einkaufstourismus bringe nach Schätzungen wohl um die sieben Milliarden Franken in die deutsche Grenzregion, wenn gerade in Konstanz zumeist über Staus und das Schweizerdeutsch in der Stadt geklagt werde. Für das Ende 2017 startende Vernehmlassungsverfahren zum künftigen Tiefenlager für Atommüll entweder im schweizer Jura oder bei Benken kündigte sie die Möglichkeit der Beteiligung der deutschen Nachbarn an. Da dürften dann auch die Bürger mitsprechen.

In Sachen Verkehr durfte der Verweis auf die Fertigstellung des Gotthard Tunnels nicht fehlen, für den man auch die Verbesserung der Verbindungen nach Deutschland vorgesehen habe gemäß des Vertrags von Lugano von 1996. Da seien die Deutschen bei der Gäubahn in Verzug, bemerkte sie. Wenigstens mache die vordringliche Einstufung im neuen Bundesverkehrswegeplan Hoffnung, dass sich nun etwas bewege. Der Zeithorizont für eine Elektrifizierung der Hochrheinbahn bis 2030 sei ja auch zumindest ein Perspektive, doch auch die Verbindung Zürich-München gelte es auf der Schiene zu verbessern, mahnte sie freundlich an. Man könne die Nachbarn gewiss zumindest mit Neigetechnik-Zügen unterstützen um zum Ziel zu kommen.

Das aktuell heikelste Thema hatte sich die Botschafterin freilich bis zum Schluss aufgespart. Sie habe auch lange überlegt, ob die den Flughafen Zürich hier ansprechen solle, doch wenn man wolle, dass der Nachbar seinen Gartenhag schneidet, dann müsse man ihn auch darauf ansprechen. Seitens der Schweiz gebe es einen Staatsvertrag seit 2012, und aus 2014 die Durchführungsverordnung, die aus ihrer Sicht die Sicherheitsfragen im An- und Abflug regelt. Der Flughafen gehe die Deutschen Nachbarn durchaus etwas an, wenn 71 Prozent der dort verkehrenden Airlines (dazu zählt mittlerweise die „Swiss“ auch) aus Deutschland sind, 14 Prozent der Passagiere aus Deutschland kommen und auch 700 Arbeitnehmer aus dem Nachbarland hier ihren Arbeitsplatz haben. Beide Verträge wurden in Berlin nicht ratifiziert, ihre Hoffnung ist freilich, dass das vielleicht noch dieses Jahr geschehen könnte, wenn die Schweizer Vertretung in Berlin nämlich ihren 150. Geburtstag feiere. Das freilich, so der anwesende Bundestagsabgeordnete Andreas Jung, sei ein Wunsch, der kaum erfüllt werden könne, denn davor müsse erst noch ein Dialog stehen.

Apropos Dialog: Tonkünstler Enrico Lenzin bediente zwischen den Ansprachen auf der Bühne nicht nur zwei Alphörner und aus Milchkannen erstellte Percussionsgeräte, wie einen Holzboden für Steppgeräusche- Im Dialog mit seiner Loop-Box entwickelte er hier eine spannende One-Man-Show im Orchesterformat durch die Vervielfältigung seiner Töne. Eine effektvolle Überraschung für diesen Anlass.

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

9 folgen diesem Profil

Kommentare

Kommentare sind deaktiviert.
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.