und alle tiere rufen: ...
Erinnerungen, die nie gelebt sein werden
Konstanz. Bei der Premiere von »und alle tiere rufen: dieser titel rettet die welt auch nicht mehr (monkey gone to heaven)« war allein schon durch den Namen des Stückes klar, dass sich das junge Theater Konstanz mit diesem Projekt kein gewöhnliches Schauspiel ausgesucht hat. Auch der Autor des zugrundeliegenden Textes, Thomas Köck, behauptet, es handle sich gar nicht um einen Theatertext. Nichtsdestotrotz fand dieser, inszeniert vom Konstanzer Hausregisseur Kristo Šagor zusammen mit der Dramaturgin Annette Schreyer, am Samstagabend zum ersten Mal seinen Weg auf die Bühne der Spiegelhalle. Die Inszenierung lebt dabei auch ganz zentral von der Zeitlosigkeit in Kulisse und Kostümen von Maria Frenzel und den eingeschobenen Musikstücken von Felix Rösch. Doch wie beschreibt man nun etwas, das sich selbst nicht so recht beschreiben kann? Oder wohl eher: Sich gar nicht beschreiben möchte?
Denn das Stück gibt sich hauptsächlich dadurch ein Profil, indem es sagt, was es nicht ist: keine Mahnung, keine Warnung, kein Weckruf und auch keine heitere Geschichte. Das spiegelt sich auch in Schauspieler Jonas Pätzold wider, der sich stellvertretend für das Stück mit Zettel auf der Stirn fragt »Wer bin ich?« und dabei doch nur jedes Mal herausfindet, was »er« nicht ist. Hier mutet, den Titel im Hinterkopf, schon sein Kostüm provokativ bis makaber an, trägt er doch eine graue Wolfskopf-Mütze sowie dazu passend eine Fellweste, doch entledigt er sich beider Teile im Laufe der einstündigen Vorführung.
Dabei wird sich nicht im Ansatz bemüht, die vierte Wand als Grenze zwischen Publikum und Bühnengeschehen aufrechtzuerhalten. Schon die Fassade der zwanglosen Party einer fünfköpfigen WG wird nur gerade so lange für die Zuschauer aufrechterhalten, bis das Theater tatsächlich beginnt.
Sehr deutlich zieht sich durch das Stück, dass das mit dem »uns ändern« gar nicht so einfach ist oder wir es schlicht nicht wollen. Der Einzelne ist nicht bereit, auf seinen Ballermann-Urlaub zu verzichten. Die Politik versteckt sich hinter langfristigen, aber viel zu gering angesetzten Klima-Zielen. Die Wirtschaft ist mit immer neuen Wachstumszielen und kapitalistischem Ethos vielleicht sowieso die Wurzel allen Übels. Hier brachte Maëlle Giovanetti in ihrer kurzfristigen Rolle als PR-Berater die dort herrschende Stimmung mehr als eindrücklich auf die Bühne. Thema: Standort und Nachhaltigkeit. »Ich kann nicht mehr«, denkt sie sich als verzweifelter PR-Berater, der doch wieder weiterrennt. Sie zeigt sich als Rädchen in den Mühlen eines Systems, das nicht anders kann, als sich immer weiterzudrehen. Dabei schafft sie es nicht nur, dem sich im Hintergrund aufbauenden bunten Treiben der restlichen Vier auf den zusammengeschobenen Sofas zu entsagen. Eindrucksvoll versuchen ihre BühnenpartnerInnen auch sie mit Händen - und teils auch den Füßen - während ihrer Ansprache zum Schweigen zu bringen, wollen sie fest- und zurückhalten. Doch es gelingt ihr sich loszulösen aus den Fängen dessen, was das symbolische Wirtschaftssystem sein könnte. "Im Mai waren die Ressourcen, die von der Erde im Laufe eines Jahres erneuert werden, von uns aufgebraucht", klagt Giovanetti auf der Bühne. Jedes Jahr erleben wir diesen »Earth Overshoot Day« ab dem wir unserem Heimatplaneten mehr abverlangen als er uns bietet. »Ich kann nicht mehr«, denkt sich vielleicht auch die Erde, nach so viel Überstrapazierung.
Monologe, wie der von Jasper Diedrichsen, mit Spaghetti Bolognese im Mund, seine WG-GefährtInnen immer wieder unterbrechend, wechseln sich ab mit Dialogen, die sich in Konjunktiven und anderen grammatikalisch nur schwer verständlichen Konstrukten zu verlieren scheinen. Ähnlich konfus also wie sich Dinge vorzustellen, die passieren könnten, aber nie passiert sein werden, an die sich niemand erinnert haben werden wird. Immer wieder zwischendrin sind da auch die sich weiter und weiter steigernden Exzesse der Gruppe, die Ablenkung durch Alkohol, Tanzen, laute Musik - hauptsache das Gewissen ist endlich still. Denn das ruft laut und wiederholt, klagt jeden von uns an, indem die Schauspieler wieder und wieder ein Requiem für die Tiere und Arten halten und einzeln an diese erinnern, daran wie sie über die Jahrhunderte hinweg ausgemerzt wurden. Hauptsächlich von »den Europäern«, lautet bald wiederholt die Erkenntnis der Gruppe unisono.
Die Gruppe aus Ruby Ann Rawson, Kristina Lotta Kahlert, Jonas Pätzold, Maëlle Giovanetti und Jasper Diedrichsen schaffen es ihren Figuren auch ohne greifbare Handlung und ohne Namen eine Dynamik zu geben. Die Interaktionen erzählen neben den großen und hoffnungslosen Grübeleien im Zentrum eine ganz eigene Geschichte. Am Ende sitzt das Publikum da und weiß eigentlich nicht allzu viel Neues, vielleicht den ein oder anderen Namen einer ausgestorbenen Spezies, wie dem Tasmanischen Wolf, der Réunion-Riesenschildkröte oder dem Quagga. Denn wir wissen alle, dass wir unseren Kredit auf dieser Erde schon lang überzogen haben. Wir alle flüchten auf die eine odere andere Art und Weise vor der Gewissheit, dass wir zusteuern auf unsere eigene Ausrottung als der »monkey gone to heaven«. Hier ergibt sich auch die Bezeichnung als »requiemmanifesto of extinction« - der Nachruf an die Ausgestorbenen das Requiem, die bezeichnete Absicht, künftig etwas tun und ändern zu wollen das Manifesto. Aber das bringt den von der Welt verschwundenen Arten und ihren nie erlebten Erinnerungen ... rein gar nichts.
Das Stück bietet dabei kein Konzept, keine Lösung, keinen Plan. Aber eines bietet es ganz gewiss: Etwas, das man so schnell nicht vergisst.
Autor:Anja Kurz aus Engen |
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