Interview mit Susanne Eschenburg über ihren Vater
»Ein geschicktes Durchmogeln«
Kreis Konstanz (sw). Deutschland – ein schwieriges Vaterland. Belastet mit der Hypothek der NS-Diktatur. Fragen nach Aufarbeitung, Schuld, Sühne, der Gefahr des Vergessens und der Verjährung sowie der Verantwortung späterer Generationen beschäftigen noch 70 Jahre nach Kriegsende, die Positionierung fällt auch angesichts der Erfolge der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) noch immer schwer. Im Rahmen der WOCHENBLATT-Serie »Spurensuche« geht es in diesem Beitrag um verwehte, verwischte oder für immer bleibende Spuren deutscher Vergangenheit. Dazu ein Gespräch mit Susanne Eschenburg, der in Bodman-Ludwigshafen lebenden Tochter von Theodor Eschenburg. Dem zuvor hochgeachteten Staatsrechtler und Politikwissenschaftler wurden nach seinem Tod Verstrickungen in die Verbrechen des Dritten Reiches und sein Schweigen darüber vorgeworfen.
WOCHENBLATT: Wie war das Verhalten Ihres Vaters im »Dritten Reich«?
Susanne Eschenburg: Er stand in deutlicher Distanz zur Nazi-Ideologie, war niemals Parteimitglied, pflegte über lange Zeit die Kontakte zu den jüdischen Freunden weiter, aber er war kein Widerstandskämpfer, kein Dietrich Bonhoeffer, der bereit war, sein Leben für seine politischen Überzeugungen zu geben. Auch kein innerer Emigrant. Von Haus aus war er ein ängstlicher Mensch, bestimmt kein Held. Aber er hat sich auch nie so dargestellt. Sein Verhalten könnte man als geschicktes Durchmogeln bezeichnen.
WOCHENBLATT: Theodor Eschenburg wurde 2011, zwölf Jahre nach seinem Tod, in einem Aufsatz in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft von Rainer Eisfeld vorgeworfen, an der Verdrängung von Juden aus ihren Geschäften und der Einziehung ihrer Vermögen während der NS-Zeit beteiligt gewesen zu sein. Als Leiter einer Vorprüfstelle soll er an »Arisierungen« und »Entjudungen« mitgewirkt und dafür gesorgt haben, dass jüdische Betriebe im Ausland vom Handel mit deutschen Unternehmen ausgeschlossen wurden. Stimmt das?
Susanne Eschenburg: Die Quellenlage ist schwierig, denn viele Unterlagen sind durch Bombardierungen während des Weltkriegs, Vernichtungen, Brände und Auslagerungen verloren gegangen. Aber als Leiter von zwei Vorprüfstellen wurde er zu »Arisierungen« und »Liquidierungen« von Betrieben jüdischer Eigentümer befragt. Entscheidungen trafen andere. Drei Fälle sind bekannt: Als der Unternehmer Wilhelm Fischbein 1938 einen Pass für geschäftliche Auslandsreisen haben wollte, empfahl mein Vater zunächst, diesen zu verweigern. Eine Woche später schrieb er einen fünfseitigen Brief an das Reichswirtschaftsministerium, in dem er vehement forderte, Herrn Fischbein einen Pass, ja sogar eine Ausreisegenehmigung, zu erteilen. An den Spekulationen über den Sinneswandel mag ich mich nicht beteiligen. Aber hier hat er eine gute Figur gemacht. Über die Enteignungen von Alfred Auerhahn und Max Blaskopf ist viel weniger bekannt. Fakt ist: Mein Vater empfahl die Liquidierung, das heißt Stilllegung der Unternehmen. Ob er eine reelle, einigermaßen ungefährliche Chance hatte, sowohl »Liquidierung« als auch »Arisierung« abzulehnen und stattdessen zu verlangen, den jüdischen Eigentümern ihre Firmen zu lassen, kann ich nicht beurteilen.
WOCHENBLATT: Hat er sich mitschuldig gemacht?
Susanne Eschenburg: Das ist im Jahr 2016 an einem warmen Septembertag, an dem wir ohne Furcht hier im Garten sitzen, schwer zu beurteilen. Bedenken Sie, in der Nazi-Zeit wurde eine Atmosphäre von Angst und Schrecken verbreitet. Die Frage ist, wo Schuld und Verstrickung beginnen. Er stand sicherlich nicht an vorderster Stelle. Er war auch nicht an Gräueltaten im Krieg oder in KZs, auch nicht während seiner kurzen SS-Mitgliedschaft beteiligt. Aber er übte seinen Beruf zum Wohle der Kurzwaren-Industriellen mit großem Engagement aus. Damit war er ein Teil der NS-Wirtschaft und stützte damit auch das Regime. Das hat er übrigens selber sehr klar in seinen Erinnerungen geschrieben. Er mied die Nähe zur Ideologie und Praxis der Machthaber. Er verkehrte mit jüdischen Freunden und Geschäftspartnern und versuchte, ihre Situation nicht auszunutzen. Man könnte das als distanzierte Koexistenz, als Gratwanderung oder Eiertanz bezeichnen. Ihre Frage nach der Mitschuld kann ich nicht beantworten.
WOCHENBLATT: Warum hat er darüber geschwiegen?
Susanne Eschenburg: Über seine Mitgliedschaft in der SS hat er offen immer wieder mit Studenten, den Mitarbeitern, in der Familie auch in gelegentlichen Interviews gesprochen. Hier ist er mit einer Ausrede, der beruflichen Überlastung, nach kurzer Zeit wieder ausgetreten. Über viele andere Dinge hat er sich mit „naiver Offenheit“, wie Ralf Dahrendorf schreibt, geäußert. Doch über die »Arisierungen« sowie die Anfragen wegen politischer und »rassischer« Unzuverlässigkeit hat er geschwiegen. Warum, weiß ich nicht. Er war sehr alt, als er den zweiten Band seiner Memoiren schrieb. Vielleicht hat er Manches vergessen. Vielleicht hat er sich auch für seine Schwäche geschämt. Außerdem gehörte er zu einer Generation, die meinte, Probleme durch Schweigen erledigen zu können.
WOCHENBLATT: Wie beurteilen Sie es, dass der Theodor-Eschenburg-Preis nach den Enthüllungen abgeschafft wurde?
Susanne Eschenburg: Mir und auch meinen Schwestern ist es egal, ob es einen Theodor-Eschenburg-Preis gibt oder nicht. Sehr getroffen hat uns jedoch, die Art wie der Preis abgeschafft wurde. Claus Offe nahm einerseits 2012 den Preis an, distanzierte sich aber andererseits in Gegenwart meiner als Ehrengäste begrüßten Schwestern von dem Namensgeber mit schlimmen Vorwürfen. Er hätte ja auch den Preis einfach ablehnen können. Diese Veranstaltung war der Auftakt für die Abschaffung. Letztlich kommt es darauf an, wie man sein Verhalten und seine Lebensleistung zu den verschiedenen Zeiten bewertet.
WOCHENBLATT: Wie kam es zu einem Einsatz in der jungen deutschen Demokratie?
Susanne Eschenburg: Zunächst mal arbeitete mein Vater für die französische Besatzung, erst später für das Bundesland Württemberg-Hohenzollern als Flüchtlingskommissar. Er war unbelastet und galt als geeignet. Seine Tätigkeit für die Kurzwarenindustrie während des Dritten Reiches galt nach dem Krieg als unbedenklich. Er hatte die Weimarer Republik untergehen sehen und das Dritte Reich mit all seinen Schrecken überlebt. Schon sehr früh machte er sich Gedanken darüber, wie man einen demokratischen handlungsfähigen Staat in Westdeutschland aufbauen könnte. Da Deutschland keine tragfähige demokratische Tradition hatte, ging das seiner Ansicht nach nur über die Schulen und Bildung. Die neue nun schon baden-württembergische Regierung wollte ihn, aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr in ihren Reihen haben und so bot es sich an, ihn in der Universität Tübingen unterzubringen. Hier setzte er sich mit aller Kraft für das neue Fach ein. Die junge Bundesrepublik liebte er wie ein Kind aus Fleisch und Blut. Ein Kind braucht Fürsorge, Schutz und Nahrung. Es braucht aber auch fähige Lehrer und soll sich ordentlich benehmen. In seinen zahllosen Aufsätzen über demokratische Institutionen und über die Missstände in ihnen lässt sich diese Einstellung an vielen Stellen erkennen.
Interview: Simone Weiß
KURZBIOGRAFIE
Theodor Rudolf Georg Eschenburg, am 24. Oktober 1904 in Kiel geboren und am 10. Juni 1999 in Tübingen verstorben, war ein bekannter Staatsrechtler, Förderer des Schulfachs Gemeinschaftskunde, mitbeteiligt an der Gründung des Südweststaats, Verfasser vieler Schriften zur Zeitgeschichte und zur politischen Praxis etwa zur »Herrschaft der Verbände«, Kolumnist der Wochenzeitschrift »Die Zeit«, Begründer der Politikwissenschaft in Deutschland und erster Lehrstuhlinhaber für dieses Fach an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen.
Theodor Eschenburg stammte aus einer wohlhabenden Lübecker Patrizierfamilie. Unter dem Einfluss des damaligen Außenministers Stresemann wurde er zum Demokraten. Nach seinem Studium der Philosophie, Nationalökonomie und Geschichtswissenschaft arbeitete er bis 1933 beim Verein Deutscher Maschinenbauanstalten. Danach wurde er zunächst Teilhaber, später - als sein jüdischer Compagnon Berthold Cohn emigrieren musste – Alleininhaber eines Verbandsbüros in Berlin, das kleine Industrielle der Kurzwarenindustrie (zum Beispiel Knöpfe und Reißverschlüsse) bei Managementaufgaben und bei der Bildung von Abwehrkartellen unterstützte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete er als Flüchtlingskommissar für das Land Württemberg-Hohenzollern, 1952 wurde er trotz fehlender Habilitation der erste Professor für Politikwissenschaft an der Universität Tübingen. Lange nach seinem Tod wurde ihm seine Beteiligung an der »Arisierung« jüdischer Betriebe während der NS-Diktatur vorgeworfen und ein nach ihm benannter Preis wegen seiner Verstrickung in das Regime abgeschafft. Susanne Eschenburg, eine der vier Töchter von Theodor Eschenburg, lebt seit 1972 in Bodman-Ludwigshafen bei Stockach. Die Lehrerin, gleichzeitig SPD-Politikerin und vierfache Mutter hat sich kritisch mit der Vergangenheit ihres Vaters auseinandergesetzt.
- Simone Weiss
Autor:Redaktion aus Singen |
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