Der Struwelpeter als Trash-Oper
Die Lust an der Strafe für böse Taten geweckt

Ingo Biermann, Jasper Diedrichsen, Ruby Ann Rawson und Mirjam Schollmeyer bei der "Geburt" des Struwwelpeter. | Foto: Ilja Mess
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  • Ingo Biermann, Jasper Diedrichsen, Ruby Ann Rawson und Mirjam Schollmeyer bei der "Geburt" des Struwwelpeter.
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Konstanz. Das Stück stammt ursprünglich von der britischen Band "Tiger Lillies", für das Stadtteater Konstanz hat Susi Weber mit Dramaturgin Romana Lautner und vor allem Bühnenbauer Luis Graninger ein vielschichtiges Drama der schlechten Manieren daraus gemacht, das das Publikum interessanterweise so begeisterte, dass die Schauspieler nach den knapp eineinhalb Stunden Vorstellung immer wieder auf die Bühne mussten, um sich auch musikalisch zu verneigen.

Und das begann auch schon ganz ambitioniert: Aus dem Vorhang heraus wurde das Publikum von Ingo Biermann mit diabolischem Lachen und Megaphon begrüßt wie in einem alten Jahrmarkt, der doch sehr an den "Elephant Man" erinnerte und sich als bester Schauspieler der Welt ankündigte. Und wie auf dem Jahrmarkt ging es da auch weiter. Der Tannenbaum da auf der Bühne wurde zum Symbol familiärer Grausamkeiten, denn das Stück nahm sich das Buch des Struwelpeter mit seinen absonderlichen Strafgeschichten des 19. Jahrhundert von Dr. Heinrich Hoffmann aufs Korn, das schon so lange den Kindern sugerriert, dass ihnen der Tot droht, wenn sie "anders als alle Anderen" wären. Das war der Geist der damaligen Zeiten gewesen.

Der Struwwelpeter (Ruby Ann Rawson) wird als beissendes Kind von Eltern geboren, die schon Puppen benötigen, um miteinander zu reden. Die Urfigur des Punk, so müsste man sie heute sehen, verwandelt sich dann in diesem Reigen der dargestellten Absonderlichkeiten noch in den Suppenkaspar, in den Hans-guck-in-die_luft, in den Zappelphilipp,  in das brandstiftende Paulinchen, den fliegenden Robert, den bösen Friederich, den Daumenlutscher Konrad - und das in herrlich bunten und anarchischen Bildern, in denen zuweilen das Blut gewaltig spritzt. Denn Sterben müssen die alle für ihr Sein - auch wenn das die Show dieses Abends ist.

Begleitet von der Bühnenband "Die Böhzen Buben" mit Benjamin Engel, Rudolf Hartmann, Jakob Köhle und Fabian Möltner, die auch auf der Bühne hier ins aufregende Geschehen eingebunden sind, sind Maëlle Giovanetti mit dramatisch unglücklicher Miene und fast bodenlangem Haar die Lieder über diese Antihelden der Anarchie, die doch alle aufgrund ihrer Andersartigkeit hier auf dem Jahrmarkt dem Tod geweiht sind. Und doch macht es gewaltig Lust, hier zuzuschauen bis zum bitterbösen Ende dieser Vorführung. Schon am Anfang wurde ausgehängt und auch ausgerufen: Die mit den schwachen Nerven sollten den Saal lieber verlassen. Das Konstanzer Publikum hat da offensichtlich sehr starke Nerven. Und hat das Bleiben sicher nicht bereut, weil das wirkliches Hardcore-Theater in einer Form war, die ganz bestimmt kein ruhiges Sitzen mehr zuließ, trotz des Weinachtsbaums.

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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