Über Impfskepsis und Impfablehnung vor COVID: Die langfristige Entwicklung in Deutschland
Die Impfskepsis wird weniger - aber konsequenter
Konstanz/Berlin. Impfskepsis gab es schon vor der Coronapandemie. Wie die Universität Konstanz nun mitteilte, geht ein Forschungsteam aus Konstanz und Berlin der Frage nach, wie sich Impfquoten und Impfskepsis in der Zeit vor der Pandemie entwickelt haben.
Dem Thema »Impfskepsis« wird in der Coronapandemie große Aufmerksamkeit zuteil. Aber wie haben sich die allgemeine Impfskepsis und das entsprechende Impfverhalten in den letzten Jahrzehnten in Deutschland entwickelt? Prof. Dr. Claudia Diehl vom Exzellenzcluster »The Politics of Inequality« an der Universität Konstanz und Dr. Christian Hunkler von der Humboldt-Universität zu Berlin zeigen: Die Gruppe der Impfskeptiker ist in den vergangenen Jahrzehnten zwar immer kleiner geworden, aber auch entschlossener.
Impfskepsis und Impfgegnerschaft waren bereits vor der Coronapandemie ein vieldiskutiertes Thema. Aber über die langfristigen Trends ist aufgrund fehlender Daten kaum etwas bekannt. Claudia Diehl und Christian Hunkler sind der Entwicklung nun nachgegangen.
Sie haben auf Grundlage der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS) des Robert-Koch-Instituts (RKI) Impfverhalten und -einstellungen von Eltern analysiert, deren Kinder bis Anfang der Nullerjahre zur Welt gekommen sind, und mit denen von Eltern verglichen, deren Kinder bereits Ende der 1980er-Jahre geboren wurden. Dabei haben sie sich auf die Kinderimpfung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) konzentriert. Als impfskeptisch werden solche Eltern bezeichnet, die – unabhängig vom tatsächlichen Impfverhalten – Vorbehalte gegen die MMR-Impfung haben, sich also um Nebenwirkungen sorgen oder die entsprechenden Krankheiten für harmlos halten.
Die Ergebnisse werden am 11. Februar 2022 in der Fachzeitschrift PLOS ONE veröffentlicht. Sie zeigen, dass die Impfquoten gestiegen sind, und dass über die Geburtskohorten hinweg der Anteil impfskeptischer Eltern abgenommen hat – von ca. 10% bei Kindern, die Ende der 1980er geboren wurden, auf gut 6% bei den um das Jahr 2000 Geborenen.
Laut KiGGS-Daten gehören zur Gruppe der Impfskeptiker häufiger Personen mit mittlerer und hoher Bildung sowie in Großstädten lebende Personen und seltener Zugewanderte und Ostdeutsche. Beim genaueren Blick in die Daten stieß das Autorenteam aber auch auf einen gegenläufigen Trend – und zwar bei der kleinen und schrumpfenden Gruppe der impfskeptischen Eltern. Deren Kinder sind über die Geburtskohorten hinweg nicht häufiger, sondern im Gegenteil immer seltener geimpft. Im entsprechenden Zeitraum sank bei dieser Gruppe der Anteil geimpfter Kinder von rund 50 auf gut 20 Prozent.
»Die Gruppe der impfskeptischen Eltern ist offenbar kleiner, aber auch entschlossener geworden«, schlussfolgert Claudia Diehl, Autorin der Studie. Das heißt, dass sie ihre impfskeptischen Ansichten eher in die Tat umsetzen und ihre Kinder tatsächlich nicht impfen lassen.
Bis Ende der 1980er-Jahre sind offenbar auch impfskeptische Eltern häufig den Empfehlungen der Expertinnen und Experten gefolgt und haben ihre Kinder trotz Bedenken impfen lassen, vermutet Diehl. Dies war bei den später geborenen Kindern seltener der Fall.
Tatsächlich wuchs bereits damals die Skepsis gegenüber der sogenannten »Schulmedizin« und das Interesse an vermeintlichen »Experten« aus dem Bereich der Alternativmedizin und Homöopathie, die häufiger impfskeptisch sind, bemerkt Diehl.
»Es liegt nahe, die leichtere Verfügbarkeit impfkritischer Desinformation im Internet für diese Entwicklung verantwortlich zu machen. Aber zu unserer Überraschung hat sich gezeigt: Der beschriebene Trend begann bereits vor der massenhaften Nutzung des Internets!«, sagt Koautor Christian Hunkler.
Dies bedeute keineswegs, dass das Internet heute keine Rolle bei der Erklärung impfskeptischer Haltungen spiele, jedoch: »Der Trend, den wir beschreiben, endet in den späten 1990er-Jahren. Erst seit diesem Zeitpunkt nutzt aber überhaupt ein nennenswerter Teil der Bevölkerung das Internet.«
Obwohl die Daten keine Aussagen über die letzten beiden Jahrzehnte erlauben, lassen sich daraus wichtige Schlüsse für die aktuelle Situation ziehen, erklärt Claudia Diehl: »Bei der Masernimpfung hat sich gezeigt, dass schon eine kleine Gruppe von entschlossenen Impfskeptikern ausreicht, die Elimination stark ansteckender Viren trotz großer Anstrengungen zu verhindern.«
Prof. Dr. Claudia Diehl ist Professorin für Mikrosoziologie an der Universität Konstanz und Co-Sprecherin des Exzellenzclusters »The Politics of Inequality«. Sie ist in mehreren wissenschaftlichen Gremien politikberatend tätig und forscht zum Bildungserfolg von Schülerinnen und Schülern, Integration, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung sowie internationale Migration.
Dr. Christian Hunkler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Humboldt-Universität zu Berlin und am Berliner Institut für Migrations- und Sozialforschung. Seine Forschungsschwerpunkte sind Integration, Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt und die Nutzung von »Big Data« in der Sozialforschung.
Autor:Anja Kurz aus Engen |
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