Internationales Forschungsteam unter Konstanzer Leitung hat herausgefunden, wie der Proteintransport in der Zelle reguliert wird
Der Türsteher vor der Proteinfabrik

Das Konstanzer Forschungsteam | Foto: Das Konstanzer Team (von links nach rechts): Zeynel Ulusoy, Renate Schlömer, Martin Gamerdinger, Annalena Wallisch, Elke Deuerling // swb-Bild: Universität Konstanz - Inka Reiter
  • Das Konstanzer Forschungsteam
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Konstanz. Wie werden Proteine in der Zelle sortiert? Ein internationales Forschungsteam
unter Konstanzer Leitung löst dieses jahrzehntealte Rätsel. Diese Mitteilung von der Universität Konstanz gibt einen Einblick in die Untersuchungen und Erkenntnisse.

Die Forschenden lösen das mehr als 25 Jahre alte Rätsel, wie Proteine in der Zelle sortiert
werden: Ein unter dem Kürzel NAC (engl.: »nascent polypeptide-associated complex«)
bekannter Proteinkomplex dient als »Torwächter« bei der Eiweißsynthese, der den
Transport von Proteinen innerhalb der Zelle reguliert. Der molekulare Mechanismus hinter
dieser Funktion wurde nun durch Konstanzer Zell- und MolekularbiologInnen im Rahmen
eines internationalen Kooperationsprojekts aufgeklärt.

Für die Aufrechterhaltung unserer Zellfunktionen ist es von elementarer Wichtigkeit, dass Proteine
noch während ihrer Synthese zu verschiedenen Zielen innerhalb der Zelle – analog zu den
Organen unseres Körpers als »Zellorganellen« bezeichnet – transportiert werden. Doch wie wird
dabei zwischen verschiedenen Transportzielen unterschieden und verhindert, dass Proteine
massenweise zu den falschen Organellen gelangen? Einem internationalen Forschungsteam ist es
nun gelungen, die Steuerung dieses komplexen Vorgangs für einen wichtigen Fall – den Transport
entstehender Proteine zu einem Membrannetzwerk der Zelle, dem sogenannten
Endoplasmatischen Retikulum – auf molekularer Ebene aufzuklären.

In ihrer aktuellen Veröffentlichung in der Zeitschrift Science konnten die Forschenden zeigen, dass
ein unter Fachleuten als NAC bekannter Proteinkomplex, der vor mehr als 25 Jahren entdeckt
wurde, hierbei eine entscheidende Rolle spielt: Wie ein Torwächter sorgt NAC dafür, dass
ausschließlich Proteine mit dem Endoplasmatischen Retikulum als Ziel an den Proteintransporter
SRP (engl.: »signal recognition particle«) übergeben werden. Dieser vermittelt anschließend den
Transport der »Fracht« zum vorgegebenen Zielort. Hat ein entstehendes Protein hingegen einen
anderen Zielort als das Endoplasmatische Retikulum, verweigert der Torwächter NAC dem
Proteintransporter SRP den Zugang.

Proteine am laufenden Band

Mit dem Erbgut als Bauplan werden in den Zellen unseres Körpers jede Minute abertausende von
neuen Proteinen hergestellt. Die zellulären »Fabriken«, in denen diese Proteinproduktion stattfindet,
sind die sogenannten Ribosomen. Durch sie werden einzelne Aminosäuren – die Bausteine der
Proteine – zu langen Aminosäure-Ketten zusammengesetzt.

Die so entstehenden Proteine können später verschiedenste Funktionen übernehmen und haben dementsprechend auch unterschiedliche Bestimmungsorte innerhalb der Zelle. Geeignete Sortiermechanismen sorgen daher oft bereits während der Proteinproduktion dafür, dass die Eiweiße ihr jeweiliges Ziel
innerhalb der Zelle zuverlässig erreichen.

Bisher war bekannt, dass zwei Proteinkomplexe, die zuvor genannten NAC und SRP, beim
zielgerichteten Transport von entstehenden Proteinen zum Endoplasmatischen Retikulum eine
wichtige Rolle spielen. Das SRP ist dabei das eigentliche »Transportprotein«, das den Kontakt der
entstehenden Proteine samt Ribosom zum Endoplasmatischen Retikulum vermittelt. Es erkennt
dabei ein spezifisches Transport-Signal, das in dem neu-synthetisierten Protein kodiert ist. Es gibt
jedoch ein Problem: SRP bindet auch unspezifisch an Ribosomen, die kein Signal für das
Endoplasmatische Retikulum aufweisen.

»Unkontrolliert würde SRP mit jedem nächstbesten Ribosom eine Bindung eingehen und es dann
zum Endoplasmatischen Retikulum transportieren, egal ob gerade ein Protein mit diesem Ziel
produziert wird oder nicht. Dann gäbe es unzählige Fehllieferungen, die die Funktion und
Lebensfähigkeit der Zelle stark beeinträchtigen würden«, beschreibt Prof. Dr. Elke Deuerling,
Leiterin der aktuellen Studie und Professorin für Molekulare Mikrobiologie an der Universität
Konstanz, das Problem. Es muss also eine Kontrollinstanz geben, die genau das verhindert – der
Torwächter NAC.

Dem molekularen Mechanismus auf der Spur

Wie genau NAC auf molekularer Ebene verhindert, dass SRP unspezifisch an alle Ribosomen
bindet, und stattdessen dafür sorgt, dass nur die richtigen Ribosomen zum Endoplasmatischen
Retikulum transportieren werden, war bisher unklar. Die Konstanzer BiologInnen gingen dieser
Frage daher in ihrer aktuellen Studie zusammen mit KollegInnen der ETH Zürich (Schweiz), des
MRC Laboratory of Molecular Biology (LMB; Cambridge, UK) und des California Institute of
Technology (Caltech; Pasadena, USA) auf den Grund.

Sie stellten hierzu zunächst die Vorgänge in der Zelle nach, indem sie Ribosomen zusammen mit
NAC und SRP im Reagenzglas zur Reaktion brachten. Anschließend wurde das Gemisch bei unter
-150°C schockgefroren und die Probe elektronenmikroskopisch untersucht – eine Methode, die als
Kryoelektronenmikroskopie bezeichnet wird. Auf diese Weise konnten die Strukturbiologen Dr.
Ahmad Jomaa und Dr. Viswanathan Chandrasekaran, Ko-Autoren der Studie, aufdecken, wie NAC
vor und nach der Frachtübergabe zu SRP an Ribosomen bindet. Dies war ein wichtiger Grundstein
für die Aufklärung des Torwächter-Mechanismus, aber der Übergang zwischen den Zuständen
blieb unklar.

»Der Übergang ist ein hochdynamischer Prozess, der mittels Kryoelektronenmikroskopie nicht
sichtbar gemacht werden kann«, erklärt Dr. Martin Gamerdinger, einer der Erstautoren der Studie
und ebenfalls Biologe an der Universität Konstanz. Um diesen Prozess zu verstehen, führten er
und sein Team, die DoktorandInnen Annalena Wallisch und Zeynel Ulusoy, hochauflösende
biochemische Bindungsstudien durch, die den Interaktionsmechanismus von NAC auf Ribosomen
in Abhängigkeit von einem synthetisierten Protein im Detail aufdeckten.

NAC als Torwächter

Tatsächlich gelang es den Forschenden mithilfe dieser Methode und computergestützten
Rekonstruktion der 3D-Strukturen sowie Versuchen von Dr. Hao-Hsuan Hsieh zur Bindungsstärke
zwischen den beteiligten Komponenten, die Funktionsweise von NAC auf molekularer Ebene zu
entschlüsseln. Basierend auf ihren Ergebnissen konnten sie einen detaillierten Mechanismus für
dessen Sortierfunktion nachzeichnen. Demnach bindet NAC an das Ribosom – und zwar an den Abschnitt, an dem das entstehende Protein die »Proteinfabrik« verlässt. Wie ein Torwächter setzt sich ein Teil von NAC schützend vor diesen Ausgang, den sogenannten ribosomalen Tunnel, und verwehrt SRP den Zugang zum
Ribosom und dem darin entstehenden Protein.

Der Zugang wird nur freigegeben, wenn im Laufe der Proteinsynthese eine Transportsignalsequenz für das Endoplasmatische Retikulum – kodiert im entstehenden Protein – den Tunnel verlässt. NAC erkennt dieses Signal und ändert dabei seine Position auf dem Ribosom. Der Ausgang des ribosomalen Tunnels wird dadurch freigegeben und SRP hat nun die Möglichkeit, an den Tunnelausgang des Ribosoms anzudocken.

Dabei wird es über einen »Greifarm«, die so genannte UBA-Domäne, aktiv vom NAC an das Ribosom rekrutiert. Nach SRP-Bindung und Signalsequenzübergabe wird dann der Transport vom Ribosom
zusammen mit dem entstehenden Protein zum Endoplasmatischen Retikulum eingeleitet.

»Unsere Studie zeigt die molekulare Funktion von NAC als Torwächter, der den Zugang von SRP
zum Ribosom nur für diejenigen entstehenden Proteine vermittelt, deren Ziel das
Endoplasmatische Retikulum ist«, fasst Prof. Dr. Elke Deuerling diesen fundamentalen
Steuerungsmechanismus zusammen. Sie ist sich mit ihren internationalen Kooperationspartnern
Prof. Dr. Nenad Ban (ETH Zürich, Schweiz), Prof. Dr. Shu-ou Shan (Caltech, USA) und Prof. Dr.
Ramanujan Hegde (MRC-LMB, UK) einig: »Zukünftige Studien werden zeigen müssen, ob NAC
darüber hinaus noch weitere Steuerungsfunktionen am ribosomalen Tunnel übernimmt.«

Autor:

Anja Kurz aus Engen

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