Viele Apelle zur Zukunft beim Neujahrsempfang der Kammern
Den Mittelstand und Europa hegen und pflegen
Konstanz (of). Es gab kleinere Abstimmungsprobleme beim Start in den diesjährigen Neujahrsempfang, denn der wiedergewählte Präsident der IHK, Thomas Conrady, und der erst Anfang Dezember ganz neu an die Spitz der Handwerkskammer gewählte Werner Rottler mussten doch noch ihre Zettel benutzen, um gemeinsam das Publikum, wieder rund 1.200 Gäste aus der ganzen Region, aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft am Mittwochabend im Bodenseeforum zu begrüßen.
„Um Europa ist mir nicht bange, so lange es Menschen wie sie gibt. Das Europa, dem wir so viel verdanken, ist derzeit freilich kein Selbstläufer. Sie lassen uns nicht im Stich, wenn es darum geht unser Vertrauen in die Zukunft der Gemeinschaft zu stärken , führte Conrady den luxemburgischen Europa- und Außenminister Jean Asselborn ein. Der wiederum bekannte, dass er hier beim Gruppenbild zum Start von mehr Schonrsteinfegern umgeben gewesen sei, als es sie in seinem Heimatland überhaupt gebe. Die begrüßen seit jeher schon traditionell die Gäste des Empfangs der Kammern mit einer Glücksmünze.
„Glück ist nichts, was andere für einen beschaffen können“, meinte der neue Handwerkskammer-Präsident Werner Rottler in seiner Neujahrsansprache. „Das Amt des Präsidenten wird mich herausfordern.“ Aber gemeinsam ließen sich die Herausforderungen angehen. Klima sei für ihn als Schornsteinfeger schon lange ein Thema, eben schon viel Länger als bei „Fridays for Future“. Die gute Nachricht des letzten Jahres seien für ihn die neuen Steuerregeln gewesen, die auf nachhaltige Sanierungen setzten. Das Handwerk handle ohnehin nachhaltig, und dazu gehörten die Nähe zu den Kunden und die oft familiengeführten Betriebe. „Wir müssen den Mittelstand als Erfolgsgarant hegen und pflegen“ mahnte er in seiner Rede. Das Handwerk selbst werde sich auf seine Stärken konzentrieren als seinen Beitrag . Dazu gehöre auch ein Fachkräfteallianz, bei der man die IHK mit im Boot weiß. „Gute Arbeit muss sich lohnen, Qualität muss sich auszahlen und wer zufrieden ist, sagt es weiter ist sein Rezept, um neuen Nachwuchs zu gewinnen. Die Chancen sollten freilich auch im Vergleich zum Studium die gleichen sein, daran werde er gerne mitarbeiten. Zufrieden zeigte er sich mit der Einführung einer Meisterprämie, mit der wenigstens ein Beitrag geleistet werde. Zufrieden zeigte er sich auch mit der Wiederbelebung der Meisterpflicht für verschiedene Gewerke. Man habe lange dafür gekämpft, nun sei diese Fehlentwicklung zu Teil wieder korrigiert worden. „Wir wissen was wir tun“ ist die diesjährige Imagekampagne des Handwerks übertitelt. „Sind das nicht die besten Voraussetzungen um die Megathemen der Zukunft anzugehen“, zeigte sich Rottler zufrieden.
„Der Maßstab muss sein, dass die nachfolgenden Generationen einmal mit unserem Handeln zufrieden sein werden“, begann Thomas Conrady in seiner Ansprache zum neuen Jahr. Ihn drückt der Klimawandel gewaltig, denn die Entwicklung nehme eine beunruhigend rasante Fahr auf. „Das Abschmelzen der Gletscher sieht der IHK-Präsident eher als ein „ästhetisches Problem“ im Hinblick auf die verheerenden Brände in Australien. Digitalisierung ist für ihn ein weiteres Thema eines immer schnelleren Wandels. „Es mag schwindelerregend sein, per se schlecht ist es nicht“, unterstrich Conrady. „Unsere Enkel werden einmal herzhaft lachen, wenn unsere Enkel auf eine Zeit zurückblicken, in der Autos auf eine Kreuzung zufahren und halten mussten um andere vorbei zu lassen. Oder dass es täglich Staus gab, weil alle zur selben Zeit ans gleiche Ziel wollten, wo man doch schon bald mit intelligenten Nahverkehrsystemen viel besser unterwegs sein kann. Unsere Enkel werden es einfach nicht verstehen, dass die Menschen damals noch vor dem „Internet of Things“ einmal Angst hatten. „Veränderungsintelligenz“ ist für ihn das Stichwort dazu. Eine höhere Veränderungsgeschwindigkeit treffe auch immer auf einen Widerstand. Geschäftsmodelle die bisher funktionierten, würden dadurch beibehalten und sorgten deshalb für Verzögerungen. „Wer heute weitermacht wie bisher wird vielleicht schon bald einen uneinholbaren Rückstand verzeichnen“, prophezeite Conrady.
Aktuell gebe es schon zwei Seiten des Markts: einerseits den weiter bestehenden Fachkräftemangel, anderseits doch eine sprunghafte Zunahme von Kurzarbeit aufgrund Auftragsmangel.
„Sie können bald schon als Konsument einfach im Bett bleiben, blickte Conrady auf die Zukunft des Handels. Deshalb müsse man sich schon jetzt Gedanken darüber machen, wie die Innenstädte der Zukunft einmal aussehen sollen, welche Aufenthaltsqualität die bieten.
Die Zukunft steht für Conrady auf drei Säulen: Bildung, weil schon in der nächsten Generation die Menschen in Berufen arbeiten würden, die man heute noch gar nicht kenne. Ruhe bewahren heißt es für Conrady weiter. „Hektische Entscheidungen sind selten gute Entscheidungen“, Und: „Wir sollten keine Dinge aufgeben, bevor wie sie nicht durch etwas besseres ersetzt haben. Lassen sie uns einfach an besseren Lösungen arbeiten nicht durch schädliche Regulierungsprozessen bremsen.“
2019 sei kein einfaches Jahr gewesen, 2020 werde eine Herausforderung, Jean Asselborn in seiner Festrede. Der Europäische Binnenmarkt mache 20 Prozent der Handelskraft aus, das sie die größte Wirtschaftsmacht, größer noch als die USA und als China. Die letztjährige Wahlbeteiligung ist für Asselborn ein Zeichen, dass sich die Menschen wieder mehr für Europa interessieren. Die andere Seite ist für ihn die Rückkehr einer Verrohung der politischen Kultur bei es nun gelte, sich einer „neuen Rechten“ entschieden gegenüber zu stellen. Gut sei es da, dass die neue EU-Kommission die Verteidigung und des Rechtsstaats die höchste Priorität eingeräumt habe. Die „Wehrhafte Demokratie“ der Deutschen solle Vorbild sein.
Solidarität sei keine Einbahnstraße spielte Asselborn auf das Thema Migration an. „Die Flüchtlingsaufgabe ist eine der Kernherausforderungen für Europa bei der noch viel Uneinigkeit gibt.“ Die Migrationfrage könne nicht von der Kommission gelöst werden, sondern nur von den Mitgliedstaaten. Denn 2015 wurde auf freiwillige Solidarität gesetzt, das sei ein fataler Fehler gewesen Viele Staaten hätten freiwillig keinen Finger gerührt und sich damit aus einer gemeinsamen Politik ausgeklinkt. „Das sind die Totengräber der Solidarität in der Europäischen Union“ so Asselborn. Es brauche ein einheiltiches Europäisches Asylsystem. Derzeit gebe es noch 28 verschiedene. Und es gebe eine moralische Verpflichtung gegenüber tausenden unbegleiteten Flüchtlingen in den Lagern an der Grenze Europas.
Der Klimawandel werde fatale Folgen haben, wenn nicht schnellstens umgedacht und gehandelt werde. Es reiche nicht nur ambitionierte Zielvorgaben zu setzen, sondern sie müssten auch erfüllt werden. Alle EU Ausgaben sollten mit den Zielen des Pariser Abkommens im Einklang stehen forderte Asselborn. Sein Land sei das als kleines Land in einem Punkt Vorreiter: In Luxemburg werde ab 1. März ÖPNV kostenlos angeboten, als erstes Land der Welt. Es wird kein Wundermittel sein, aber es sei ein Signal. Wir müssen den Strukturwandel nutzen, um unsere Vorreiterrolle als Vorbild zu erhalten. Und da setzt Asselborn auf den „European Green Deal“ der das Thema mit der Wirtschaft angehe, um sozial und klimaneutral zu werden. Die Länder und Industrien müssen dabei freilich unterstützt werden.
Eine herausforderung bietet neben dem „Brexit“ für Asselborn auch die Schweiz in diesem Jahr: Im Frühjahr steht eine Volksabstimmung zur Kündigung der Personenfreiheit in der Schweiz. an. Bei Erfolg werde die Nachhaltigkeit der Kooperation mit der Schweiz dadurch in Frage gestellt.
Autor:Oliver Fiedler aus Gottmadingen |
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